Neue Stellungnahme der Verbände: Szenariorahmen für die Netzentwicklungspläne Strom 2030 (Version 2019)

Im Januar haben die vier Übertragungsnetzbetreiber ihren Vorschlag für den Szenariorahmen 2030 (Version 2019) unterbreitet, der seit dem 17.01.2018 durch die Bundesnetzagentur zur Konsultation gestellt wurde.

Hierzu nehmen wir im Folgenden aus Sicht der Windstromerzeugung auf See gerne Stellung. Wir gehen dabei auch auf die im Begleitdokument der BNetzA hervorgehobenen Fragestellungen für den Bereich Offshore-Windenergie ein, namentlich die Leitfragen:

  •  Wie beurteilen Sie die Vorgehensweise der Übertragungsnetzbetreiber bei der Prognose von Wind Offshore?
  •  Ist die Aufteilung der prognostizierten Leistung Wind Offshore zwischen Nord- und Ostsee sinnvoll?

I. Allgemein

Der von den ÜNB vorgelegte Entwurf des Szenariorahmens 2030 (Version 2019) mit Stand von Januar 2018 unterscheidet sich erheblich von den vorangegangenen Szenariorahmen, da er nun deutlich pointierter als bislang das politische Ziel der Energiewende nachvollzieht (und damit dessen Erreichen vorbereitet). Dies erfolgt zum einen redaktionell durch das Voranstellen der Erneuerbaren Energien gegenüber der Stromerzeugung auf Basis fossiler Energieträger und der Kernenergie. Zum anderen inhaltlich durch eine wesentlich ausdifferenziertere Betrachtung neuer Stromanwendungen; darüber hinaus spiegeln die Szenarien die Absicht, den Klimaschutzplan 2050 in allen Szenarien einzuhalten. Schließlich wird jedenfalls im C-Szenario über den derzeit im Gesetz vorgesehenen Ausbaupfad hinausgegangen.

Hinsichtlich der eingangs erwähnten ersten Leitfrage der BNetzA begrüßen wir diesen Umschwung in der Herangehensweise der Übertragungsnetzbetreiber.

Allerdings bleibt der Szenariorahmen dabei aus unserer Sicht auf halbem Wege stehen – gerade die notwenige Erhöhung des Ausbaukorridors für EE, wie von AGORA im Sommer 2017 bereits dargelegt (Big Picture 2030), einer Studie des WWF zu einem Kohleausstiegspfad von Anfang 2017 und zuletzt die BDI-Studie Klimapfade Deutschland sind u. E. nicht bzw. nur ansatzweise im Szenario C widergespiegelt worden. Insbesondere für Szenario C hätten wir uns daher einen ambitionierteren Ansatz beim Ausbaupfad der Erneuerbaren Energien gewünscht. Wir verweisen hier auf die im Cuxhavener Appell 2.0 formulierte Forderung der Küstenländer (und der Branche) nach einer Anhebung der Ausbauziele für die Windenergie auf See auf mindestens 20 GW bis 2030 und mindestens 30 GW bis 2035.

Wir begrüßen auch, dass die Stakeholdereinbindung intensiviert wurde.

II. Ausbauvolumen generell

Der Entwurf des Szenariorahmens orientiert sich u. a. an den Zielsetzungen des EEG 2017. Diese dürften jedoch angesichts des Entwurfs des Koalitionsvertrags für die 19. Legislaturperiode demnächst veraltet sein, da der Koalitionsvertrag einen Anteil von etwa 65 % Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch bis zum Jahr 2030 anstrebt. Der Szenariorahmen hingegen geht lediglich von einer Bandbreite zwischen 50 und 54,8 % aus. Spätestens seit den Vereinbarungen zur Klimakonferenz in Paris (COP21) und dem Klimaschutzplan 2050 von Ende 2016 ist aber klar, dass Deutschland das Ambitionsniveau beim Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich erhöhen muss, bei gleichzeitig beschleunigter Reduktion der fossilen Kraftwerkskapazitäten (insbesondere Braun- und Steinkohle).

Konkret werden in der Koalitionsvereinbarung von Anfang Februar 2018 allein bis zum Jahr 2020 Sonderausschreibungen für 8 GW Leistung aus Onshore-Windenergie und Photovoltaik vorgesehen sowie ein Sonderbeitrag Offshore-Wind. Hierauf muss auch die Netzplanung eingestellt werden. Denn der im Koalitionsvertrag enthaltene Vorbehalt der Aufnahmefähigkeit der Netze wird nicht als „Alibi“ verstanden werden können, aufgrund dessen eine angepasste EEG-Zielsetzung dann eben nicht erreicht werden kann. Dies wird keiner weiteren Begründung bedürfen.

III. Ausbauvolumen Windenergie offshore

Die B-Szenarien 2030 und 2035 für die Entwicklung der Offshore-Windenergie richten sich nach dem derzeit geltenden Rechtsrahmen. Dieser orientiert sich bekanntlich (auch) an den begrenzten Netzressourcen an Land und auf See. Die Leistungsbereitschaft und das tatsächliche Leistungsvermögen der Offshore-Windindustrie sind hingegen weitaus höher und haben sich ausweislich der Ergebnisse der ersten Ausschreibung auch als sehr kostengünstig erwiesen. Unsere Grundsatzforderung nach deutlich mehr Netzressourcen und einer besseren Auslastung und Optimierung bestehender Netzkapazitäten an Land wiederholen wir daher stetig und auch hier. Diese Forderung, die u. a. auch in Kapitel 8 der Studie von Fichtner (Juni 2016) dokumentiert wurde, ist zwischenzeitlich von weiteren Analysen bestätigt worden, so z. B. von der im September 2017 präsentierten DENA-Studie (Stakeholder-Prozess für eine höhere Auslastung des Stromnetzes mit einem Maßnahmen-Katalog zur Senkung der Kosten für Netzengpassbewirtschaftung in den nächsten fünf Jahren) oder jüngst von AGORA (Toolbox für die Stromnetze), öffentlich vorgestellt im Rahmen eines Workshops Anfang Januar 2018.

Im C-Szenario wird – erstmals – über den gesetzlich fixierten Ausbaupfad hinausgegan-gen und angenommen, dass dieser Pfad überarbeitet und dabei ehrgeiziger ausgestaltet wird. Dafür wird eine um drei Jahre beschleunigte Entwicklung angenommen, so dass in 2030 17,3 GW Leistung offshore installiert wären, wobei dies nicht näher begründet wird.
Wir begrüßen diese Antizipation potentieller Rechtsänderungen. Allerdings fällt der Umfang dieser im Szenariorahmen angenommenen beschleunigten Entwicklungen deutlich hinter die bereits genannten Forderungen des Cuxhavener Appells 2.0 vom 11.09.2017 zurück. Die Offshore-Windenergie wird sich nach Ansicht von Branchenanalysten weiterhin dynamisch entwickeln. Die Branche rechnet mit der Entwicklung sehr leistungsstarker Windenergieanlagen mit einer Kapazität von 13-15 MW bis Mitte der 20er Jahre, d. h. deutlich vor 2030. Das nutzbare Potential in der deutschen Nord- und Ostsee liegt daher deutlich höher und wird bei mindestens 20 GW in 2030 gesehen, mit weiteren Ausbaumöglichkeiten in den darauffolgenden Jahren. Dies haben die Küstenländer sowie Vertreter der Windbranche im Cuxhavener Appell 2.0 gefordert und begründet. Untermauert wurde dies kürzlich durch einen Entschließungsantrag der norddeutschen Bundesländer im Bundesrat zur Erhöhung der Ausbauziele, der den Cuxhavener Appell aufgreift. Gänzlich unzureichend sind insofern auch die Zielsetzungen im Szenario B 2035, welche nur 19 GW offshore installierte Leistung skizzieren. Die im Cuxhavener Appell enthaltene Zielsetzung liegt für diesen Zeitpunkt bei 30 GW.

Prinzipiell halten wir eine Regionalisierung im Sinne einer Prognose der jeweils in Nord- bzw. Ostsee installierten Leistung für sinnvoll. Die gewählten Größenordnungen scheinen plausibel, wobei die Bestrebungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu beachten sind. Die meisten Reserven zur Leistungssteigerung dürfte (weiterhin) die Nordsee bieten. Zwar lässt sich die Anzahl von Leitungstrassen durch das geschützte Wattenmeer nicht unbegrenzt erhöhen. Dies ist aber eher eine Frage der künftigen Raumplanung sowie der Entwicklung weiterer Technologien.

Die weitere Rechtsentwicklung ist ungewiss. Man kann aber davon ausgehen, dass sie hochdynamisch bleibt – dies auch aufgrund internationaler Verpflichtungen zum Klimaschutz – und dass daher das Ambitionsniveau zum Ausbau der Erneuerbaren Energien steigen wird. Gerade deshalb sollte zur Verkürzung der Reaktionszeiten im komplexen Netzplanungsgeflecht ein ehrgeiziger Ansatz gewählt werden. Dies gilt insbesondere für den Szenariorahmen, mit dem die Netzplanung beginnt. Das Verschieben eines (noch nicht planfestgestellten) Vorhabens nach hinten dürfte keine unbewältigbaren Schwierigkeiten aufwerfen. Ein Vorziehen hingegen ist fast unmöglich – schon eine planmäßige Realisierung ist bekanntlich sowohl off- als auch onshore häufig genug misslungen. Zum Offenhalten denkbarer Optionen ist daher die Planung weiterer Netzanbindungssysteme auf einer engen Zeitschiene geboten.

Die vollständige Stellungnahme finden Sie hier zum Download.


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Gezeichnet:

Uwe Knickrehm, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Offshore-Windenergie e.V. (AGOW)
Dr. Ursula Prall, Vorstandsvorsitzende der Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE
Dr. Wolfgang von Geldern, Vorsitzender des Wirtschaftsverbands Windkraftwerke e.V. (WVW)
Andree Iffländer, Vorstandsvorsitzender des WindEnergy Network e.V. (WEN)
Jan Rispens, Geschäftsführer Erneuerbare Energien Hamburg Clusteragentur GmbH (EEHH)
Andreas Wellbrock, Geschäftsführer der Windenergie-Agentur WAB e.V.
Sascha Wiesner, Geschäftsführer der windcomm Schleswig-Holstein e.V.
Matthias Zelinger, Geschäftsführer der VDMA Power Systems
Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie e.V. (BWE) 

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