Berlin/Hamburg/Bremen/Rostock, den 10. April 2024
„Das Erreichen der Ausbauziele der Bundesregierung im Offshore-Windenergie-Bereich bedeutet einen industriepolitischen Kraftakt. 30 GW bis 2030 und 70 GW bis 2045 übersetzen sich in tausende Windenergieanlagen, Fundamente, tausende Kilometer Hochspannungskabel, 20.000 Tonnen schwere Konverterstationen, Spezialschiffe, Hafenkapazitäten und vieles mehr. Hersteller und Zulieferer von Offshore-Windenergieanlagen in Europa bauen zwar bereits massiv neue Kapazitäten auf und bestehende aus. Produktionskapazitäten insbesondere für maritime Großkomponenten fehlen jedoch entlang der gesamten Zulieferindustrie und hätten eigentlich seit zwei Jahren massiv aufgebaut müssen. Stattdessen blicken auch Unternehmen aus der Offshore-Zulieferindustrie in Deutschland besorgt auf Deindustrialisierungstendenzen.
Die Gründe sind vielfältig: Refinanzierungsrisiken für die fertigende Industrie, schlechte Finanzierungsbedingungen für neue Werke, wettbewerbliche Nachteile im Vergleich zu Herstellern aus anderen Ländern sowie ein nicht industriefreundliches Ausschreibungssystem bilden die Basis für den „perfekten industriepolitischen Sturm“. Dies erhöht auf der energiepolitischen Ebene das Risiko für eine erhebliche Verzögerung der Energiewende,“ fasst Karina Würtz, Geschäftsführerin der Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE, die komplizierte Ausgangslage zusammen.
Insbesondere die hiesigen (Re-)Finanzierungs- und Investitionsrahmenbedingungen für Unternehmen der Zulieferindustrie stellen eine große Hürde dar, wären allerdings auch einer der größten Hebel, um die dringend benötigten Investitionen auszulösen. Dabei kämpfen viele der Unternehmen noch immer mit den letzten Auswirkungen der Corona-Pandemie, was sich unter anderem in schlechteren Unternehmensbonitäten als vor der Pandemie niederschlägt. Dies erschwert die Finanzierung neuer und die Refinanzierung existierender Werke erheblich.
Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems, stellt klar: „Hersteller von Offshore-Windenergieanlagen und ihre Zulieferer bauen Kapazitäten auch in Deutschland und Europa bereits aus. Mit Rahmenbedingungen, die ein profitables und nachhaltiges Geschäft ermöglichen, insbesondere durch ein Ausschreibungsdesign ohne ungedeckelte negative Gebote, werden Windenergieanlagen-Hersteller die notwendigen Kapazitäten bereithalten, um die politischen Ziele zu erreichen. Um den steilen Hochlauf der benötigten Kapazitäten entlang der gesamten Zulieferindustrie zu unterstützen, sind Absicherung und Förderung von Investitionen politisch zu flankieren, insbesondere mit Blick auf Infrastrukturen bspw. bei Offshore-Konverterplattformen oder Hafenkapazitäten. Finanzierungsinstrumente sollten „fit for purpose“ sein und den politischen Ambitionen entsprechen. Ein möglichst europäischer Rahmen ist notwendig. Die Bundesregierung sollte sich neben nationalen Förderprogrammen und KfW-Maßnahmen auch für europäische Instrumente und eine Koordination innerhalb der EU für die europäische Windindustrie einsetzen.“
„Man sollte annehmen, dass die Offshore-Windindustrie aufgrund der positiven Zukunftsaussichten voller Zuversicht ist. Doch die Branche muss nun in extrem kurzer Zeit von Sparflamme auf Vollgas umschalten. Das schnelle Wachstum erfordert Planung, Infrastruktur und vor allem verfügbare Ressourcen an Kapital, Flächen und Fachpersonal “, stellt Andree Iffländer, Vorstandsvorsitzender des WindEnergy Networks, fest. „Nur mit einer kurzfristig verfügbaren und resilienten nationalenLieferkette können sich die großen Chancen für Deutschland auch auszahlen.“
Dazu schließt Markus Nölke, Geschäftsführer der WAB: „Um passende Maßnahmen für die Finanzierungsbedarfe der hiesigen Zulieferindustrie zu identifizieren und zügigin die Umsetzung zu bringen, bedarf es einer konzertierten, übergeordnetkoordiniertenInitiative, beispielsweise in Form einer interministeriellen Bund-Länder- Task-Force. Auf diese Weise könnte kurzfristig eine Strategie mit klar benannten Zielsetzungen, Maßnahmen, Zeitplänen und Verantwortlichkeiten zur Lösung der Finanzierungsprobleme in der Lieferkette erarbeitet werden. Die Förderbanken auf Bundes- (KfW) und Länderebene sollten beteiligt werden.“
Denn da der kommerzielle Bankensektor derzeit oft keine ausreichenden Lösungen für die Finanzierungsproblematiken der Zulieferindustrie anbietet, liegt hier ein enormes ungenutztes Potenzial (halb-)staatlicher Institutionen wie die KfW und der Beteiligungsgesellschaften der Landesförderbanken. Dafür wäre jedoch eine entsprechende Mandatierung durch die Politik erforderlich.
„Durch ein stärkeres Mandat für eine KfW mit Bankenlizenz könnten die Finanzierungsengpässe im Fremdkapital- und Bürgschaftsbereich zügig angegangen und überwunden werden.“, führt Sebastian Averdung, Vorsitzender des EEHH e.V., aus. „Dabei gilt es zu unterstreichen, dass es sich in dieser Konstellation nicht um direkte Subventionen, sondern um Kreditprogramme handeln würde.“
Die hohen Ausbauziele maskieren zudem einen weiteren Effekt, nämlich den der steigenden Durchschnittsgröße von neuen Offshore-Windenergieprojekten. Mit der hier zu installierenden Leistung steigen auch die erforderlichen Vertragsvolumina und damit die für Anzahlungen und Gewährleistungen benötigten Projektbürgschaften, die der Lieferant, also der Hersteller, dem Auftraggeber zu hinterlegen hat. Dies sind in der Regel 10 – 15 % der Auftragssumme. Bei den Milliarden-Investitionssummen in Offshore-Windenergieprojekte im Gigawattbereich überfordern die hier in absehbarer Zeit benötigten Volumina den Bankensektor und legen wiederum einen KfW-Ansatz nahe, der mit europäischen Entwicklungen zur Mandatierung der European Investment Bank harmonieren würde.
Die Offshore-Windenergie ist eine zentrale Säule der nationalen Energiewende-Ambitionen und von entscheidender Bedeutung für die Transformation des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Angewiesen ist sie dabei auf eine starke, breit aufgestellte Wertschöpfungskette, die die Investitionsbedingungen vorfindet, um die eigenen Produktionskapazitäten massiv auszubauen. Dadurch bietet die Offshore-Windenergie auch eine starke heimische Industriebasis für einen stärkeren Schutz vor geopolitischen Turbulenzen.
Vor diesem Hintergrund schlägt die Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE auf Basis ihrer Analyse vordringlich vier Maßnahmen vor, die durch die relevanten Stellen geprüft und zügig in die Umsetzung gebracht werden sollten:
Die Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE, VDMA Power Systems, das Erneuerbare Energien-Cluster der Hansestadt Hamburg, die WEN und die WAB appellieren an die Bundesregierung und den Bundestag, die neuralgische Funktion der Zulieferindustriefinanzierung zu berücksichtigen und die massiven Hemmnisse durch eine kluge, ganzheitliche Finanzierungsstrategie zügig abzubauen.
Die erste von insgesamt fünfzig Windturbinen wurde erfolgreich im Offshore-Windpark Baltic Eagle installiert.
Die Branchenverbände der deutschen Offshore-Windindustrie sowie die gemeinnützige Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE haben heute die Zubauzahlen für das erste Halbjahr 2024 veröffentlicht.